Großes Sgraffitohaus Krems: Wo Bilder erzählen...

Wir schreiben das Jahr 1554: Hans von Drackh Kaufmann, protestantisch, wohlhabend! In prominenter Lage lässt er sich ein Stadthaus umbauen, führt ein offenes Haus, lädt Kaufleute ein und präsentiert sich als weltoffener und gebildeter Handelsherr. Er schafft es sogar, in den Rat der Stadt aufgenommen zu werden und übernimmt schließlich das Amt des Stadtrichters. In seinem Haus in der Margaretengasse betreibt Drackh eine Krämerei und darüberhinaus besitzt er einen Wirtschaftshof in Gneixendorf sowie 40 Viertel Weingärten*.

Krems ist zu dieser Zeit eine pulsierende, unglaublich aufgeschlossene und reiche Handelsstadt an der Donau. Kaiser Maximilian II nannte Krems und Stein "die vornehmsten Städte nach Wien" und sagte, dass "hier viele wohlhabende Leute seien". Er musste es wissen, denn er selbst ebenso wie die Habsburger-Generationen vor ihm hatten sich laufend Geld von den Kremser Bürgern geborgt!

Wer es sich leisten kann, schickt seine Söhne nach Deutschland und Italien zum Studieren - Wittenberg, Jena, Tübingen und Padua sind besonders beliebt - und kaum geht in deutschen Landen die Reformation über die Bühne, finden die Kremser Gefallen an der neuen Lehre. Hans von Drackh darf man sich wohl als opinion leader seiner Zeit vorstellen; er ist wohlhabend genug, um zwei gotische Gebäudeteile zu einem prächtigen Renaissance-Stadthaus umzubauen und die Fassaden dem neuen Zeitgeist entsprechend zu gestalten.

Sgraffito ist angesagt! Der flämische Künstler Hans von Brugg (Pruch, Brugg, Brügge) wird mit der Gestaltung der Süd- und  Westfassade beauftragt und er verwendet durch die Bank Themen, die in der Renaissance Menschen bewegten, interessierten, amüsierten: Szenen aus der Bibel, der griechischen Mythologie, dem Alltagsleben, Helden und Geschichten der frühen Neuzeit - eine Bilderabfolge ohne inhaltlichen Zusammenhang, ohne Roten Faden. "Collage" würden wir das im 21. Jahrhundert nennen.... Übrigens: Diese Sgraffiti dürften zu seinen letzten Werken gehören, denn bald danach ist Hans von Brugg verstorben!

Chronologie der Ereignisse:

  • 1552 - 1559: Hans von Drackh (Trackh) lässt mehrere gotischen Gebäude zu einem standesgemäßen Renaissance-Haus umbauen.
  • 1556 und 1559: Hans von Brugg (Pruch, Brugg, Brügge) schafft die Sgraffiti auf der West- und Süd-Fassade
  • 1560: Drackh wird in den Rat der Stadt aufgenommen
  • ab 1561: Drackh bekleidet das Stadtrichter-Amt
  • 1581: Hans von Drackh verstirbt.
Hier einige ausgewählte Szenen:

König Saul, war der erste König Israels. Wegen der Niederlage gegen die Philister stürzte er sich in sein Schwert, um nicht lebend in die Hände der Feinde zu fallen.

"Kinig Saul..."

Ein Zeltlager, im Hintergrund die Stadt Jerusalem. Vor dem ersten, offenen Zelt steht Judith mit Schwert und dem Haupt des feindlichen König Holofernes. Eine zweite Frau, wohl eine Dienerin, hält einen Sack, der vermutlich das abgeschlagene Haupt aufnehmen soll.

"Judit enthaupt den wietrich holofernum."

Zwei Mägde mit einem Korb auf dem Kopf; darunter sinngemäß der Spruch, sprachlich leicht angepasst:

"Komm, mein Gespiel, was soll ich klagen, meine Frau tut mich schlagen; oh schweig, Gespiele mein, meine Frau ist böser als die dein!"

Dass die Kremser Frauen keine Mimosen sind und nicht nur ihre Mägde, sondern auch ihre Männer im Griff haben, wissen wir ja schon vom Simandlbrunnen

Siegmund Freiherr von Herberstein galt als der "Osteuropa-Experte" schlechthin und besuchte im Dienste der Habsburger fremde Länder, fremde Herrscher. So auch die vier abgebildeten VIPs ihrer Zeit.

  • König Ludwig von Ungarn und Böhmen,
  • Christian von Dänemark und Norwegen
  • Sigismund I - König von Polen und Großherzog von Litauen
  • Sigismund II - König von Polen und Großherzog von Litauen

Die Radierungen stammen von Augustin Hirschvogel für das Werk Herbersteins "Rerum Moscoviticarum commentarii". Hirschvogel war im Brotberuf eigentlich Kartograph und ging mit dem ersten Stadtplan Wiens 1547 aus Vogelperspektive in die Wr. Stadtgeschichte ein.

Lucretia war vom Römer Sextus Tarquinius entehrt worden und hier - mit langem Gewand in der Mitte - erdolcht sie sich gerade vor den Augen ihrer Familie.

"Wie sich Lucrecia ein Romeri selber ersticht"

Fortuna als geflügelte Frau

Pyramus und Thisbe - Ovids Vorgänger von Romeo und Julia: Sie waren jung und verliebt, ihre Familien verfeindet. Am Weg zu einem heimlichen Treffen außerhalb der Stadt wird Thisbe von einer Löwin angegriffen, die ihren Umhang zerreißt. Pyramus findet den zerfetzten Umhang und glaubt, Thisbe wäre tot. In völliger Verzweiflung ersticht er sich. Als Thisbe den toten Pyramus findet, erdolcht sie sich ebenfalls. Hier im Bild: Pyramus vom Schwert durchbohrt, Thisbe mit Krone hebt entsetzt die Arme. Links: die Löwin.

Der Fabeldichter Äsop als poeta laureatus:

"Esopus bin ich genant, den geleerten wol bekannt".

Das Salomonische Urteil: Der prächtig gekleidete König sitzt auf dem Thron und ist von einigen Höflingen umgeben. Mit seinem Stab deutet er auf eine der beiden vor ihm knienden Frauen. Interessanterweise liegen zwischen diesen zwei (!) Wickelkinder. Im biblischen Streit um ein Kind hatte Salomon entschieden, dieses Kind zu teilen, woraufhin die echte Mutter ablehnte.

Fuchs predigt den Gänsen: Der Fuchs an einem Ambo stehend predigt drei aufmerksam lauschenden Gänsen. Anmerkung meinerseits hierzu: in der österr. Fachliteratur gilt diese Szene als Fabel Äsops mit einem Wolf; im Rest Europas jedoch gibt es das Motiv des predigenden Fuchs als Warnung: Seid nicht dumm und hört nicht auf falsche Prediger! Stichwort "le renard préchant"

Und hier nun die Pläne, damit Sie die Szenen vor Ort auch gut finden! Die Pläne tragen zwar einen offiziellen Stempel, aber der Urheber konnte nicht eindeutig ermittelt werden (Magistrat Stadtarchiv). Das Original befindet sich im Stiegenhaus im Inneren des Sgraffitohauses.

Großes Sgraffitohaus Krems - Pläne © kremskultur

Übrigens: Auf Wunsch können wir uns die Sgraffiti gerne auch im Rahmen einer Stadtführung in der Altstadt von Krems ansehen!

Erscheinungsbild und Technik:

Echtes Sgraffito: auf die Mauer wird geschwärzter Putz aufgetragen und darauf in noch feuchtem Zustand ein dünner, weißer Anwurf. In diesen werden Bilder hineingezeichnet und die Linien mit einem Stichel nachgezogen, sodass der dunkle Grund hervortritt. Stellenweise wird der helle Verputz ganz abgeschabt, sodass sich die lichten Figuren stark abheben.

In Krems jedoch ist alles anders: "Pseudosgraffiti" - es erfolgte ein einmaliger heller Mörtelbewurf, auf den in feuchtem Zustand gezeichnet wurde. Die dunkle Farbe der vertieften Stellen malte man einfach mit dem Pinsel nach.

Die Szenen in der Althangasse blieben stets sichtbar, jene in der Margaretenstraße wurden erst 1925 durch Zufall wieder entdeckt, als zur Ausbesserung von Mauersprüngen große Schließen eingezogen werden mussten. Erste Restaurierung 1927 durch Ferdinand Heilmann; 1990 neuerliche Restaurierung durch Rudolfine Seeber. Schauseite Althangasse: An dieser Seite wesentlich weniger gut erhalten als in der Margaretenstraße, wo  die Darstellungen überputzt waren.

Heutige Nutzung und Eigentümer:

1540 m² Gesamtnutzfläche; 190 m² Gastbetrieb, eine Ordination und 13 moderne Wohnungen zw. 44 und 130 m² (inkl. Dachraum, der nach einer umfassenden Sanierung 1988-1980 als Nutzfläche zur Verfügung steht). Eigentümer seit 1987: GEDESAG

Anmerkungen: * Viertel als Flächenmaß wurde erst 1871 normiert und mit einem halben Joch festgelegt, somit 2877 m²; vorher waren regional unterschiedliche Werte gültig.

Quellen und weiterführende Literatur:

  • Dr. Hans Plöckinger Das große Sgraffitohaus zu Krems
  • Dr. Harry Kühnel: Das Große Sgraffitohaus in Krems
  • Dr. Harry Kühnel: Lebensformen einer österreichischen Kleinstadt in der frühen Neuzeit.
  • Dr. Anton Kerschbaum: Die Geschichte der Stadt Krems
  • Wolfgang Westerhoff: Sgraffito in Österreich
  • Harry Kühnel – Wikipedia

Anmerkungen, Kommentare, Ergänzungen, Rückfragen etc. bitte gerne an office@kremskultur.at!


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